An die Arbeit!
Franz Rieder • Arbeit und Verantwortung (nicht lektorierter Rohentwurf) (Last Update: 20.05.2019)
Es geht nicht um die bessere Berechnung der Zukunft, sondern um die Erweiterung der Vorstellungskraft.
In den siebziger Jahren wohnten zwei ältere Damen in der Wohnung über mir, sozialer Wohnungsbau, ein Zimmer, kleine Küche mit Sitzbadewanne, Diele mit Kleiderschrank, Bad mit abwaschbarer Ölfarbe gestrichen, die große Ölfarb-Nasen über der ganzen Fläche verteilt, Gasheizung, kleiner Balkon, also schon recht ordentlich ausgestattet und zum Preis von 80,- DM/Monat für insgesamt 18 qm; das waren damals günstige 4,50 DM/qm, aber Stadtmitte Düsseldorf, nur etwa 150 Meter bis zur Oststraße, wo die ersten Cafés sich befanden, dahinter die großen Kaufhäuser und zwischendrin einige Tante Emma Läden.
Freitags ab 15.00h sah man die beiden Damen dann im Nerzimitat das Haus verlassen, um ins Café zu gehen, wo sie dann bei einer Tasse echten Kaffee, manchmal ein Stück Kuchen, zwei bis drei Stunden verbrachten. Sie waren Kriegerwitwen, so nannte man damals solche Frauen aus der Perspektive des Patriarchats, hatten ihre Söhne und die Ehemänner im Krieg an den Hitler-Wahnsinn verloren, aber auch schon ein Großvater war im ersten Weltkrieg im Feld geblieben und eine Enkelin starb früh an den Masern, als es ganz schlimm kam, 1917/18.
Die beiden Damen sprachen immer vom Krieg und vom ersten Weltkrieg, so als sei dieser nur ein kleiner Vorläufer des großen, des Krieges eben gewesen. Und das war er ja auch. Jedenfalls für die, die nicht in Ypern oder in den Gräben von Verdun verreckt sind. Für die beiden Nachbarinnen von mir war dieser Weg ins Café viel mehr, als ein freitägliches Ritual mit Kaffee und Kuchen, wie es ab dem Ende der sechziger, spätesten ab den siebziger Jahren im Wirtschaftswunderzeitalter üblich wurde.
Für die beiden war es Teilhabe, Teilhabe an einem Leben, das sie sich so sehr gewünscht hatten, das nun aber zu einer doch sehr eingeschränkten Wunscherfüllung geworden war. Vor allem, weil die Witwenrente, die es damals gab, zwei Tassen Kaffee oder zwei Café-Besuche die Woche nicht hergab.
Sie klagten nicht, fiel mir auf. Sie sprachen viel über ihre Männer, über die Zeit, als der Krieg noch nicht war und von den Träumen, die die Zwanziger Jahre in Berlin, wo sie geheiratet und lange gewohnt und ihre Männer, Söhne und Verwandten gearbeitet haben, bei ihnen hinterlassen hatten. Ausgehen, im Mittelpunkt stehen, jedenfalls sich das vorzustellen, dass alle, nun gut, viele Augen auf sie gerichtet, auf Hut und Pelzmantel, manche ein wenig verrucht mit einer Stola und einem falschen Leberfleck à la Marie Antoinette; ach wenn der verdammte Krieg, gegen den sie immer gewesen waren, doch nicht dazwischen gekommen wäre …1
Für die politische Ökonomie2 sind diese beiden ehrbaren, respektablen und sozial wertvollen alten Damen kein „Gegenstand“ ihrer Betrachtung. Einzusehen, warum das so ist fällt schwer, verrichten heute die meisten älteren Damen doch einerseits wichtige Aufgaben bei der Betreuung der Enkel, damit die Eltern, meist Doppelverdiener, ihren Arbeiten nachgehen können. Und auch als Konsumentinnen werden die älteren Damen zunehmend wichtiger und volksökonomisch wertvoller.
Hatte man früher gerne als Kernzielgruppe der Volksökonomie die Menschen bis zum Alter von 59 Jahren mit Ach und Krach gezählt, 49 Jahre hatten besser gepasst für die ökonomischen Berechnungsverfahren, so spricht man heute hinter kaum mehr vorgehaltener Hand vom „best ager“3 und versteht darunter eine Zielgruppe von Personen mit einem Lebensalter von über 50 Jahren. Unklar ist und bleibt bei vielen der mit den best ager fast inflationär genannten Begriffe, ob die Zeit der „besten Jahre“ erst mit dem Tod oder bereits weit vorher endet.
Wobei es der Ökonomie ja nicht um das Dasein der benannten Menschen geht, sondern um die Frage, wann ein Mensch den Geltungsbereich der ökonomischen Betrachtung verlässt?
Mit zunehmender Lebenserwartung und Gesundheit mancher westlicher Populationen hat sich nicht einfach nur die verfügbare Zeit des einzelnen Menschen als Wertschöpfungskategorie und als Konsumptionskategorie verlängert, was für die Wissenschaft der Ökonomie kein großes Problem darstellt. Aber mit beiden einher geht etwas, was für den ehrbaren Ökonom dem wahren Grauen schon recht nahe kommt, der nicht festgestellte Mensch.
Nach Nietzsche passt der nicht-festgestellt Mensch einfach in keine Schublade, schon gar nicht in die ökonomische. Aber ist das wirklich ein erwähnenswertes Problem für die Ökonomie? Insofern sie als eine, an den Naturwissenschaften orientierte Einzelwissenschaft verstanden wird, eher kaum. Denn alle solche Einzelwissenschaften abstrahieren fokussiert auf ihren Gegenstand hin und dürfen sich sonnen in der verhältnismäßigen Zutreffentheit und Richtigkeit ihrer Methoden und Aussagen, solange diese nicht widerlegt und jene nicht als unzuverlässig und unsauber im wissenschaftlichen Sinne kritisiert worden sind.
Aber als eine Wissenschaft, die sowohl sozial und politisch so enormen Einfluss auf das Dasein des Menschen hat wie die Ökonomie müssen die Grenzen natürlich viel enger gezogen werden. Ökonomie trägt Verantwortung. Oder etwa nicht?
Verantwortung
Wir müssen also zuerst über Verantwortung sprechen, bevor wir in eine kritische Bewertung der Ökonomie in Bezug auf menschliches Dasein4 übergehen können. Verantwortung5 ist in einem grundsätzlichen Sinne der Begriff, der alle weiteren sozialen und politischen Bestimmungen trägt. Ohne eine Bestimmung von Verantwortung im Kontext von Ökonomie ist auch eine ethische, eine sozial-ökonomische Bestimmung einäugig und unbrauchbar.
Der Horizont des Begriffs der Verantwortung in der Ökonomie und mit diesem gleichzeitig der Rekurs auf die Qualität aller Aussagen zur Ökonomie ist die tiefste Depression, die die Wirtschaft und ganz besonders die Finanzwirtschaft heute seit den 1930er Jahren durchlebt, was zugleich auch die Wirtschaftswissenschaften bzw. den Diskurs innerhalb der Wirtschaftswissenschaften in einen ökonomischen Mainstream und in eine ökonomische Heterodoxie6 zu spalten begonnen hat.
Die Spaltung betrifft hauptsächlich die aktuelle Methodendebatte innerhalb der Wirtschaftswissenschaften, geleitet von der Frage: Warum war die Wirtschaftswissenschaft nahezu unvorbereitet in Bezug auf die sog. Finanzkrise ab 2008? Welche Verantwortung trägt die – immerhin regelmäßig bei der Vergabe der Nobelpreise alljährlich hoch dekorierte – wirtschaftswissenschaftlich akademische Profession, besonders aus den USA, und welche Konsequenzen sollten bzw. müssten aus dieser Fehlbeurteilung der Finanzkrise innerhalb der Wirtschaftswissenschaften gezogen werden?
Unsere Perspektive dabei bleibt selbstverständlich überwiegend begrifflicher und nicht wissenschaftlich-institutioneller Natur. So betrachten wir auch den Begriff der Verantwortung aus dem philosophischen Horizont der Ethik und der Bewusstseinsphilosophie. Hier liegt Verantwortung in der Autonomie des handelnden Menschen begründet, dort dessen Auswirkungen auf jene Menschen, die von den Handlungen betroffen sind; so, jedenfalls zunächst einmal.
Nehmen wir nur einmal den Gedanken, der ja auch allenthalben laut ausgesprochen wurde und wird, dass nämlich das Scheitern der sozialistischen Ökonomie mit ihrer grundsätzlichen Ablehnung von Markt und Privateigentum auf die Ökonomik von Karl Marx zurück geht und also dieser auch in weitreichender Hinsicht eine Verantwortung, mindestens aber eine Mitverantwortung für dieses Scheitern trägt.
Demnach gelte auch, dass die moderne Mainstream Wirtschaftswissenschaft7 mit ihrem, überwiegend durch Privateigentum und Marktwettbewerb organisierten, weltwirtschaftlichen Ansatz für die jüngste weltweite Depression und das Desaster innerhalb der Finanzmarktkrise 2008 verantwortlich gemacht werden kann.
Aber ist das so
einfach? Wer trägt denn überhaupt Verantwortung?
Konzentrieren wir uns zunächst darauf,
wer an Handlungen im Rahmen der Wirtschaft8
beteiligt ist. Die Wirtschaft trägt Verantwortung durch die
Akteure und für die Akteure, die das wirtschaftliche Handeln
vollziehen und die ebenso bei der Organisation von strukturellen wie
institutionellen Bedingungen maßgeblich beteiligt sind, auf
deren Grundlage wiederum Personen, Personengruppen oder Institutionen
im Hinblick auf die Produktion, den Gebrauch oder die Transaktion von
Gütern und Dienstleistungen tätig
werden.
Prima
Vista erscheint die Wirtschaft
als die Gesamtheit aller Einrichtungen wie Unternehmen, private und
öffentliche Haushalte, die im privatrechtlichen Sinne
selbstverantwortliche Eigentümer und Handlungsbevollmächtigte
sind, deren Eigenschaft als Träger der Verantwortung qua
Autonomie ihrer Handlungen bestimmt sind.
Scheinbar Konsens wurde schnell die Erkenntnis, dass niemand, weder aus der Privatwirtschaft wie etwa Banker und Finanzinvestoren, ebenso wenig Politiker als Regulatoren den zeitlichen Eintritt der neueren Finanzkrise vorherzusagen im Stand war. Eben so wenig die massive Stärke, mit der die Finanzkrise das weltweite Bankensystem erschütterte, in der Folge auch die Privatinvestitionen in der Wirtschaft bedrohte und auch nicht das enorme systemische Risiko, das letztlich bis heute noch im weltweiten Bankensystem herumgeistert und die Märkte verunsichert.
Dies alles wäre weniger bedenklich, wäre damit nicht zugleich auch die Erkenntnis verbunden, dass die Wirtschaftswissenschaft als Disziplin der Analytik und Prognostik hier nicht unausgesprochen ein erschütterndes Eingeständnis ihres Versagens bezüglich der internationalen Finanzmärkte abgegeben hat. Mit Verwunderung musste man feststellen, dass ihr nicht nur die systemischen Risiken der Banken rückblickend unbekannt waren, sondern dass sie gleich das Feld, auf dem es ums Geld, also ums Ganze des Wirtschaftens geht, gleich ganz von der akademischen Agenda gestrichen hatte. Allenfalls als Randnotiz im Stundenplan der akademischen Reflexion fristeten die Finanzmärkte ein geisterhaftes Dasein; ab 2008 wurde der Spuk dann sichtbar im Tageslicht der zusammenbrechenden Finanzmärkte.
Bevor man aber daraus die Frage ableiten kann, ob sich daraus eine Mitverantwortung der Wirtschaftswissenschaftler für die Finanzmarktkrise begründen lässt, wollen wir zunächst das Verhältnis von Verantwortung und Wissenschaft eingehender betrachten.
Verantwortung der Wirtschaftswissenschaft
Nach Lohmann9 wird Verantwortung als Zurechnung einer bestimmten, freiwilligen Handlungsweise zu erfassbaren Folgen für den Handelnden und Dritte unter bestimmten Rahmenbedingungen bestimmt. Und er bestimmt weiter, dass Verantwortung generell die Freiwilligkeit der Art und Weise der Handlungsausführung sowie Wahlmöglichkeiten, Bestimmbarkeit der Folgen und die Akzeptanz gewisser Rahmenbedingungen zur Voraussetzung hat. Verantwortung generell, also so sie nicht eingeschränkt ist durch bestimmte Vereinbarungen und Verträge im wirtschaftlichen Kontext, kann als rechtliche oder moralische Haftung verstanden werden, sofern man auf die Folgen der Handlung schaut. Und mithin verbunden mit jeder Haftung sind materielle oder immaterielle Sanktionen.
Lohmann sieht in der Wirtschaftswissenschaft gewissermaßen ein Derivat dieser Begriffsbestimmung und folgert für die Wissenschaft generell, ganz gleich, um welche Wissenschaft zu welcher Zeit es geht, also auch solche Wissenschaften wie etwa die der Atomphysik und der Genetik, dass nur die moralische Verantwortlichkeit hier auf dem Feld der Wissenschaften greift. Dieser Auffassung zugrunde aber liegt die nach wie vor weit verbreitete – aber längst nicht mehr überall im akademischen Betrieb akzeptiert Auffassung von der Nicht-Rekursivität von Wissenschaft als deren Kernbestimmung.
Das meint, dass Wissenschaft zuvörderst für die Schaffung von verwertbaren Erkenntnissen verantwortlich sei, in einigen Fällen auch für die daraus sich ergebenden Handlungsempfehlungen, mehr nicht. Ihre Verantwortung gründet somit auf einer ethisch-moralischen Ebene, nicht auf einer zivil- oder gar strafrechtlichen. Teleologisch gesehen erwächst die wissenschaftliche Verantwortung aus dem wissenschaftlichen „Gewissen“ zu einer abschließenden moralischen Selbstverantwortung. Die eigentliche Verantwortung tragen andere, nämlich die, die als Nutznießer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Empfehlungen fungieren. Sie sind die eigentlich Handelnden, die Wissenschaft als Unternehmer und Unternehmen, Politiker, Verbandsfunktionär und institutionelle wie andere kollektive Akteure bis hin zu den sog. NGOs und einfachen Landwirten umsetzen. Fast überflüssig schon in diesem Zusammenhang scheint die Erwähnung, dass diese eigentlich Handelnden nun ihrerseits wiederum nicht selten sich bei Gelegenheit auf die Wissenschaft berufen, um von der Verantwortung ihrer darauf gründenden Handlungen ganz bzw. teilweise freigesprochen zu werden.
Verantwortung in der durch die Wirtschaftswissenschaft bedingten Handlungen ist umso relativer, als – auch nicht unter Aspekten des sog. Matilda- bzw. Matthäus-Effekts betrachtet – die externen negativen Folgen weder intendiert noch klar erkennbar oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten waren.
Da aber die Wissenschaftsgemeinde eo ipso dazu neigt, die negativen Folgen ihres Handelns selbst wiederum mit wissenschaftlichen Methoden als Einzel- oder Grenzfälle ihrer Annahmen zu deklarieren, kann weder Fahrlässigkeit noch Intention angenommen werden. Wissenschaftliche Kunstfehler führen selten zu moralischer Verantwortung.
Neben der Ideologisierung der „freien“, nicht-rekursiven Wissenschaft steht die Verantwortung wissenschaftlicher Lehre auch noch unter einem anderen Horizont, den akademischen Rahmenbedingungen. Besonders in der Wirtschaftswissenschaft sind die akademischen Meriten, die die Legitimität der Forschung und Lehre wie die fachwissenschaftliche Reputation gleichermaßen ausbilden, auf deren Basis dann Stellenvergabe und Karriere aufsetzen, ganz maßgeblich von der Einhaltung von akademisch-methodischen und pragmatischen „Spielregeln“ der Wissenschaftsgemeinschaft abhängig.
Forschung, Lehre und Beratung bzw. Expertise gehen gerade hier einen fast marktoptimiert zu nennenden Weg. Methodenausbildung, Mitarbeiter-, Doktoranden-Iteration auf die gesetzten Prozesse und Wissenschaftsziele und Drittmitteleinwerbung hin sowie Publikation in ausschließlich fachwissenschaftlich anerkannten Fachmedien spielen hier ebenso eine nicht unwichtige, alltägliche Praxis wie die Fokussierung auf Mittelzuweisen im Rahmen von staatlichen und privaten Exzellenzstrategien, die Erringung einer Listenkompetenz für akademische und/oder Berufungen als Gutachter, Berater oder Business Consultant. Dies alles ist schon in der sog. Formationsphase von Bedeutung, wie förderhin im gesamten akademischen Karriereprozess bei der Erreichung leistungsbemessender Verdienstchancen wie auch außerhalb der Scientific Community in der Erwirkung externer Verdienstchancen.
Mainstream innerhalb der akademischen Normalwissenschaft bildet so den methodisch-pragmatischen Horizont wissenschaftlichen Handelns, den der einzelne Wissenschaftler/Wissenschaftlerin durch sein Mit-Sein mit verantwortet. Pierre Bourdieu (2005) spricht in diesem Kontext von einem Bestand an ‚kulturellem Kapital’, in das jeder Wissenschaftler sowohl einzahlt, als auch davon profitiert10. Im Rückgriff auf unser Kapitel zur Macht geht es u.E. in diesem Kontext nicht um verborgene Mechanismen der Macht. Wir kommen aber gleich auf die Ebene politischer Macht, wie sie im Wissenschaftsbetrieb mehr oder weniger subtil ihre finanzmarktpolitischen Interessen durchsetzt und sich hinter der Wirtschaftswissenschaft geschickt versteckt zu sprechen.
Verantwortung zwischen Wissenschaft und Politik
Die
Wissenschaft, hier also Vertreter der sog. Mainstream-Ökonomik,
erklären wie übrigens auch der hoch geachtete deutsche
Sachverständigenrat11
die Finanzkrise aus dem Jahre 2008 hauptsächlich als Versagen
eines Teils des Immobilienmarktes, des sog. Subprime-Segments.
Wesentliche Verantwortliche sieht man in beiden Quellen in den
Bankern und Wallstreet-Akteuren, die zum einen hoch riskante
Kreditvergaben an niedrig rangierende, meistens private Schuldner
vergeben haben, wobei darunter selbst Busfahrer und gerade entlassene
Häftlinge waren, teilweise ohne Versicherungskarten. Und zum
anderen in den Folgen einer drastischen Verteuerung der kurzfristigen
Refinanzierung jener Subprime12
Kreditpakete,
die ab 2007 einige Banken von der Illiquidität in die Insolvenz
führte.
Da die Refinanzierung nach dem Preisverfall auf dem US-Immobilienmarkt durch private Geschäftsbanken zunehmend unsicherer wurde, mussten diese nun ihrerseits hohe Wertberichtigungen in ihren Bankbilanzen vornehmen. Dieser Kapitalverlust schränkte gleichzeitig auch die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung der Kreditvergabe so sehr ein, dass dieser De-Leverage Effekt nun umfassend auf den gesamten Bankenbereich der USA und darüber hinaus um sich griff, spätestens sichtbar mit dem Datum des Zusammenbruchs der Lehmann Brothers Investment Bank.
Der
Rolling-Stone-Effekt traf sowohl den privaten Immobilienmark wie den
gesamten Interbanken-Bereich. Die privaten Schuldner konnten ihre
Schuldendienste nicht mehr bedienen, da sie ihrerseits, wie üblich
in Amerika, selbst wiederum auf ihre Hypotheken weitere Schuldzusagen
eingegangen waren und in einen Dominoeffekt privater Insolvenzen
gerieten.
Der enorme Vertrauensverlust unter den Privatbanken
führte zu einem Zustand, der die Interbanken-Kreditvergabe fast
gänzlich zum Erliegen brachte und der, ohne sofortiges, massives
Eingreifen der US-Fed und anderer, asiatischer wie europäischer
Zentralbanken, wohl zu einem weltweiten Kollaps im internationalen
Finanzsystem geführt hätte.
Heute, fast neun Jahre nach der Lehman-Pleite, erhöht die US-Fed langsam die Kosten für die Refinanzierung der Banken- und Interbanken-Kredite; in Europa ist aufgrund der toxischen Situation besonders der Banken in Italien, Griechenland, Frankreich und Spanien eine Änderung der EZB-Politik noch nicht in Sicht.
Die Auswirkungen dieser Finanzkrise, die im Kern vielfältig sind, angefangen von einem enormen Vertrauensverlust von Unternehmen und Privatpersonen gegenüber Banken, einem gewaltigen Vermögensverlust im privaten Sektor, vor allem was Versicherungs- bzw. Sicherungsprodukte, aber auch Anleihen und Aktienpakete betrifft, eine knirschende Kreditklemme aus einmal Risikoaversion bei Banken wie auch gegenüber innovativen Geschäftsmodellen, besonders auf den modernen Technologiemärkten und eine Reihe anderer Auswirkungen hat einen jahrelangen Ausfall an Investitions- und Konsumnachfrage geführt.
Die Bereitschaft zum Konsum, die heute leicht wieder ansteigt, zeichnet aber keineswegs das Bild einer Erholung auf den Märkten, sondern kann auch als ein toxisches Symptom betrachtet werden, als halb-verzweifelter Konsum-Hype aufgrund der miserablen Zinssituation im Bereich privater Spareinlagen und anderer privater Vermögensmodelle.
Nicht nur in den USA, aber ganz besonders in Europa stellen wir also fest, dass gigantische Stabilisierungsmaßnahmen der Notenbanken mit immer neueren und größeren „Rettungsschirmen“ die gewünschten Effekte auf den Finanzmärkten und in der Realwirtschaft nicht bzw. kaum signifikant hervorgebracht haben. Betrachten wir dazu noch die nun hinterlassenen Verschuldungssummen und -Grade der meisten westlichen Volkswirtschaften, die sich mehr oder weniger schnell auf die „japanische“ Situation zubewegen, dann drängt sich doch die Überlegung auf, ob wir es hier wirklich mit einem separierten Marktgeschehen zu tun haben, zumal gerade die Finanzmärkte, im Gegensatz zur landläufigen und von der Politik ubiquitär unterstützten Meinung, zu den am strengsten regulierten Märkten gehören und nicht von „Heuschreken“ des Finanzkapitals wie von Wallstreet-Hasardeuren in die Finanzkrise getrieben worden sind.
So sehr auch Politik, Mainstream-Ökonomik und größte Teile der Presselandschaft dieser Erklärung der Finanzkrise bis heute Vorrang geben, steht aber schon seit langen, jedenfalls zeitlich schon länger andauernd als die Finanzkrise selbst, die Auffassung bei heterodoxen Ökonomen im Raum, dass es sich bei der Finanzkrise um eine Äußerung einer tieferen, nämlich systemischen Krise der Marktwirtschaft13 handelt. Dies schließt natürlich nicht aus, dass wir es im Fall der Finanzkrise nicht auch mit einem Versagen auf dem Finanzmarkt zu tun haben. Das Versagen betrifft vor allem eine grandiose Fehleinschätzung der Risiken auf dem Immobiliensektor und seinen angeschlossenen Finanzierungs- und Refinanzierungsinstrumenten. Gleichwohl die internationalen Finanzmärkte zu den transparentesten und reguliertesten Märkten überhaupt gehören, sind Risikoeinschätzungen prima vista nicht generell unsicherer, als auf anderen Märkten. Was hier aber zum Tragen kommen kann, sind die enormen Beschleunigungs- und die weltweiten Vernetzungskräfte, die zu gigantischen Produktinnovationen und Vertriebsaktivitäten führen können, von denen nicht einmal die Herausgeber und Betreiber solcher Produkte und Prozesse nach einiger Zeit noch angemessenen Überblick haben.
Sicher hat auch ein Kontrollversagen in einigen Banken zu einem moralisch extrem verdorbenen Verhalten an den Finanzmärkten geführt, das zwar weniger die Markterschütterung ausgelöst hat, aber in der Folge zu einem nachhaltigen Vertrauensverlust geführt hat. Dieser Vertrauensverlust betrifft nicht nur das Vertrauen in die Akteure und Institutionen auf den Finanzmärkten.
Denn dies alles wäre überhaupt nicht entstanden, hätte nicht die Politik hier bei allem und ursächlich eine zutiefst unrühmliche Rolle gespielt, die in der Folge der Finanzkrise nun das Vertrauen in die demokratischen Institutionen selbst erschüttert.
Verantwortung und Politik
No income, no job, no assets
Fannie Mae14 und Freddie Mac15 – was für bezeichnende Ausdrücke für eine fast romantische Zuneigung zu privaten, hochrisiko-behafteten Immobilienbesitzern – waren die Schwungräder für ein politisches Kalkül, das ungestraft mal eben die Welt der Finanzmärkte ins Chaos stürzte. Bill Clinton hatte 1994 nach der üblichen Beeinflussungsphase der Banken- und Börsen-Einflüsterer die Idee, die großen US-Banken von fast jedweder Regulierung per Gesetz zu entlasten.
Aber schon vor ihm hatten US-Regierungen begonnen, die Finanzmärkte seit den 80er-Jahren, nachhaltig zu deregulieren, wobei ein ehemaliger Hollywood-Liebhaber und -Revolverheld sich besonders hervortat. US-Präsident Ronald Reagan verfügte 1982 die regionalen Sparkassen von staatlichen Vorschriften zu befreien und Banken erstmals zu erlauben, Darlehen mit variablen Zinsen zu vergeben. Was prima vista recht verbraucherfreundlich daher kommt, kann sich schnell, und dies gilt in den meisten westlichen Industriestaaten auch heute noch, für den Darlehnsnehmer zu einer ausweglosen Situation führen.
Und wenn nur genug Darlehnsgeber nebst MBS-Anbieter in diesen Prozess involviert sind, hat man schnell die nächste Finanzkrise wegen einer sog. Immobilienblase – wir kommen auf diesen Aspekt der beschleunigten Verbriefungs-Vernetzung gleich zurück.
Ein Fazit aus der Diskussion seit der Finanzkrise ist: die Deregulierung ist eine der Kernursachen der Finanzkrise und sie hat die US-Immobilienblase und die folgende Weltrezession erst möglich gemacht; also ein eindeutiger Vorwurf der Verantwortung an die Politik. Aber dieser Vorwurf betrifft weniger die Gesetzgebung in Richtung des privaten Immobilienmarktes, sondern den Rückzug der Politik aus der Regulierung der Finanzmärkte:
„Der Druck in Richtung einer bestimmten Form von Deregulierung war eine Triebfeder für die Finanzkrise“16. Dieser Auffassung folgen die meisten der Kritiker der Mainstream-Ökonomik, dass nämlich für die exzessive Kreditvergabe in den USA und damit für die Immobilienblase und den Beinahe-Zusammenbruch des gesamten Finanzsektors im Herbst 2008 das Bankengesetz von US-Präsident Clinton aus dem Jahr 1994 Bedingung der Möglichkeit überhaupt war.
Erst dieses präsidiale Regelwerk erlaubte es US-Geldinstituten, ohne weitere Genehmigungen im gesamten Land tätig zu werden. Vorher war der Aktionsradius der Banken stark begrenzt, so dass ein Geldinstitut, bevor es in einem anderen Bundesstaat eine Filiale eröffnen konnte, eine eigene Lizenz für diesen Staat benötigte. Bei fünfzig Bundesstaaten nur in den USA selbst, war das schon eine Riesenarbeit.
„Für eine New Yorker Bank war es einfacher, in Kuala Lumpur zu expandieren als in Jersey City“, lästerte Clinton bei der Gesetzesunterzeichnung. Die Liberalisierung von 1994 löste eine Welle von Fusionen und Übernahmen aus, in Folge dessen eine Reihe von regionalen US-Geldinstituten ihre Unabhängigkeit verloren. Gleichzeitig ermöglichte die politische Deregulierungs-Gesetzgebung die Entstehung von kaum oder gar nicht regulierten bzw. supervisierten Finanzintermediären17, von einigen Vertretern der Wirtschaftswissenschaften heute auch als „Schattenbanken“ bezeichnet.
Durch den Verkauf von Schuldtiteln, die in undurchsichtigen Kreditpaketen (Verbriefung bzw. Securitization) konnten Banken ihren Teil der Verantwortung bei Kreditgeschäften umgehen, was nichts anderes bedeutet, dass die Haftung für Kreditrisiken wie durch eine unsichtbare Hand aus den Bankbilanzen verschwanden. Und durch sehr dubiose Zertifizierung dieser Kreditpakete durch von den Banken auch noch bezahlte Rating-Agenturen entstanden in der Prozessfolge weiterer und im weltweiten Verbund mithin technologisch extrem beschleunigten Verbriefungsprodukte neue Risiken, deren Marktbewertung völlig ungenügend war.18
Diese heute als ‚toxische Papiere’ benannten Kreditpakte wurden also durch die eng vernetzten, globalen Finanzmärkte extrem schnell weltweit verteilt. Und fast parallel dazu entwickelte sich eine Reihe fast nicht regulierter Finanzintermediäre (Special Investment Vehicles bzw. Conduits19), die solche Kreditpakete ungehindert von jeder Bankenaufsicht aufgekauften und so nun ihrerseits immer mehr das klassische Bankengeschäft der Fristentransformation betrieben. Schaut man nur auf die hier entstandenen Finanzintermediäre und die sog. MBS-, ABS- und CDO-Pakete an Finanztiteln, dann wird das Risikoausmaß auf einem deregulierten Finanzmarkt deutlich.
Aus der so unschuldig klingenden, politischen Idee: Jedem US-Bundesbürger sein klein Häuschen im Verein mit der, in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zum Mainstream erhobenen sowie überall kolportierten Überzeugung, dass staatliche Vorschriften in vielen Bereichen der Wirtschaft und vor allem im Banken- und Finanzmarkt mehr Schaden als Nutzen anrichten würden, wurde ein gigantischer Kreditboom ausgelöst, der das gesamte Finanzsystem instabil werden ließ. Und die politische Agenda dieses Regulierungsdispenses ist lang. Fast alle US-Präsidenten der Nachkriegszeit beteiligten sich an der gesetzlichen Grundlegung für die hemmungslose Beschleunigung von Finanzgeschäften.
Bill Clinton hob die Beschränkungen, die US-Banken bei ihrer regionalen Expansion hatten, auf. Fünf Jahre später wurde auch die gesetzliche Trennung zwischen Geschäfts- und Investment-Banken, der sog. Glass-Steagall Act, die nach der großen Depression in den 30er-Jahren eingeführt worden war, abgeschafft 20. Die Clinton Administration wollte auf diese Weise die Wettbewerbsfähigkeit US-amerikanischer Geschäftsbanken stärken und politischen Profit aus der Kreditschwemme für privaten Immobilienbesitzer ziehen. Viele Kritiker sehen jedoch in der Abschaffung des Glass-Steagall-Gesetzes die Ursache für die Fehlentwicklung in der Finanzbranche, die letztlich zum Desaster im Herbst 2008, d.h. zum Untergang der Investmentbank Lehman Brothers führte.
Aber auch andere US-Granden mischten sich vehement in die Wirtschaftsabläufe ein. Unter dem Präsidenten George W. Bush gestattete die US-Wertpapieraufsicht im Jahr 2004 Investmentbanken, ihre Geschäfte unbegrenzt auf Pump zu finanzieren. Dass Menschen, denen es an jeder finanziellen Grundausstattung und wie bereits vermerkt, teilweise sogar an den obligatorischen Versicherungsnummern fehlt, nicht unbedingt ideale Schuldner sind, leuchtet auch ohne Bankausbildung ein. Ungeachtet dessen und hinter der langjährigen politischen Deckung schnellte die Menge an Subprime-Krediten am amerikanischen Häusermarkt in der Zeit nach der Jahrtausendwende auf unglaubliche Höhen. Hatte der Markt in den 1990er Jahren noch ein Volumen von rund 30 Mrd. US-Dollar, so war daraus 2005 ein beeindruckender Wert von 625 Mrd., also eine Verzwanzigfachung geworden. Solch ein Wert ist nicht nur für die US-Finanzbranche eine beachtliche Hausnummer, sondern aus heutiger Sicht, und dies hat viel zu spät auch Bill Clinton eingeräumt21, erscheint dies wie ein riesengroßer Leichtsinn, nunmehr genannt: Kasino-Kapitalismus22.
Anmerkungen:
1 - wir brechen hier mal ab mit der Erzählung und widmen uns unserem eigentlichen Thema: der Ökonomie. Selbstverständlich aus dem Geiste der Philosophie und die muss sich natürlich zuvörderst mit dem beschäftigen, was der konrete Gegenstand der Wissenschaft der Ökonomie ist: der homo oeconomicus. Homo oeconomicus (lateinisch hŏmō oeconomicus ‚Wirtschaftsmensch'), auch rationaler Agent, ist in der Wirtschaftswissenschaft und Spieltheorie das theoretische Modell eines Nutzenmaximierers zur Beschreibung menschlichen Handelns
2 Der Einfachheit halber sprechen wir des weiteren kurz von der Ökonomie.
3 ... auch Generation Gold, Generation 50plus, Silver Ager, Golden Ager, Third Ager, Mid-Ager, Master Consumer, Mature Consumer, Senior Citizens, „over 50s“ etc. genannt.
4 - wir begrenzen die Bestimmung des Begriffs des menschlichen Daseins vorübergehend auf das Dasein der Menschen in - überwiegend westlichen - Industriegesellschaften.
5 Im ökonomischen Kontext tritt der Begriff Verantwortung stets im Zusammenhang mit dem der Entscheidung auf. Auf diesen Zusammenhang gehen wir etwas später detailliert ein.
6 Wir verwenden des weiteren den Begriff: philosophische Ökonomie in diesem Zusammenhang. Auch um den Bestrebungen innerhalb der heterodoxen Wirtschaftswissenschaften nach grundsätzlichen anstelle von utilitaristischen Fragestellungen Anerkennung und Rechnung zu tragen.
7
Dieser etwas unscharfe Begriff birgt als seine zentrale Bestimmung
das neoklassische Marktparadigma. Carlin/Soskice (2006) sprechen vom
‚Benchmark-Modell’, dessen Kern Joseph Stiglitz (2009:
51) als Marktfundamentalismus folgendermaßen umschreibt:
..."der von rationalen Individuen mit rationalen Erwartungen
ausgeht, welche auf perfekt funktionierenden Märkten mit
profitabel arbeitenden, wettbewerbsfähigen Unternehmen agieren.
Dieser Ansicht zufolge reicht es aus, die Märkte ungehindert
schalten und walten zu lassen, um ökonomische Effizienz zu
erreichen.“
Effizienz im radikalen Sinne meint hier stets
Effizienz im Benchmark-Vergleich.
8 Das Lexikon der Wirtschaft definiert „Wirtschaft“ als „die Gesamtheit aller Einrichtungen wie Unternehmen, private und öffentliche Haushalte sowie die notwendigen Abläufe wie Käufe und Verkäufe, die mit der Herstellung und dem Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen verbunden sind“. (Lexikon der Wirtschaft. Grundlegendes Wissen von A bis Z. 2. Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus 2004. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2004).
9 Lohmann, G.; Was wir sollen und was wir wollen dürfen. Zur Verantwortung in Wissenschaft und Technik; in: Magdeburger Wissenschaftsjournal, Nr. 1/1997, S. 3 - 9
10 Bourdieu, P.; Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital; in: ders.; Die verborgenen Mechanismen der Macht, Hamburg 2005, S. 49 – 80.
11 Sachverständigenrat
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
(SVR);
Jahresgutachten 2008/2009: Die Finanzkrise meistern –
Wachstumskräfte stärken, Stuttgart 2008
12 Allein die Bezeichnung 'subprime' verschleierst schon die Bereitschaft, hohe Risiken einzugehen, die letztlich und wie in den meisten Fällen, auch in den USA schließlich zu privaten Insolenzen führt, für deren Folgen am Ende der Steuerzahler aufkommen muss
13 Die Anhänger der heteroxen Ökonomik sprechen unisono von einer systemischen Krise des Kapitalismus'. Warum wir diesem Begriff nicht folgen, wird im Fortgang unserer Überlegungen deutlich werden.
14 Eigentlich Federal National Mortgage Association, FNMA, ist ein staatlich gefördertes US-Unternehmen, welches 1938 im Rahmen des New Deal als staatseigene Bank gegründet und 1968 privatisiert wurde.
15 Federal Home Loan Mortgage Corporation ist eine börsennotierte US-amerikanische Hypothekenbank mit Firmensitz in Tysons Corner, Virginia. Freddie Mac kauft Hypothekenkredite von Banken, fasst diese Kredite zusammen und bringt sie als hypothekenbesicherte Wertpapiere (mortgage-backed securities, MBS,) auf den Kapitalmarkt.
16 Daron Acemoglu, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) auf der Jahrestagung der American Economic Association Anfang Januar in Denver, Colorado
17 Als Finanzintermediär bezeichnet man ein Unternehmen, das Geldkapital von Anlegern entgegennimmt und an Kapitalnehmer weitergibt oder den Handel zwischen Kapitalgebern und -nehmern erleichtert. Der Begriff bezieht sich typischerweise auf Banken und Versicherungsgesellschaften
18 Kapitalgeber
und Kapitalnehmer haben häufig unterschiedliche zeitliche
Vorstellungen. Während durch Investitionen Bedarf nach
langfristigen Krediten entsteht, wollen die Sparer ihr Geld nur
kürzere Zeit bei einer Bank anlegen. Finanzintermediäre
können die zeitlichen Vorstellungen (Fristen) der Anleger
derart umwandeln, dass sie den zeitlichen Vorstellungen der
Kapitalnehmer entsprechen.
Möchte zum Beispiel ein
Kreditnehmer 2014 einen Kredit von 22.000 Euro bis 2023 aufnehmen,
ist dies mit den in der Tabelle gezeigten Sparbeträgen möglich,
obwohl keiner der Sparer sein Geld von 2014 bis 2023 anlegen
möchte.
Und so ist es möglich: Von 2014 bis 2017 sind
die Sparbeträge der Anleger A und B die Grundlage für die
Kreditvergabe, im Jahr 2018 die Sparbeträge der Anleger A und
C. Von 2019 bis 2023 werden die Einlagen der Sparer C und D
verwendet.
Die Fristen des Kredits und der Sparbeträge
stimmen im Beispiel ebenso wenig überein wie die Sparbeträge
der einzelnen Anleger und die Kreditsumme. Hier sind also nicht nur
die Fristen, sondern auch die Losgrößen transformiert
worden.
Und was passiert, wenn ein Sparer sein Geld vorzeitig
zurückhaben möchte? Banken haben den Vorteil, die Gelder
sehr vieler Sparer einzusammeln. Unregelmäßige Zu- und
Abgänge gleichen sich daher nach dem Gesetz der großen
Zahl aus. Dadurch können sie die Fristen- und
Losgrößentransformation besser planen und abwickeln.
Gefährlich ist eine Situation, in der alle Sparer ihr Geld
gleichzeitig verlangen, weil sie zum Beispiel aufgrund von Gerüchten
Angst bekommen, ihr Geld sei bei der Bank nicht mehr sicher
aufgehoben. Dann können Banken schnell zahlungsunfähig
werden und zusammenbrechen. Daher ist das Vertrauen in die Banken
entscheidende Voraussetzung für ein funktionierendes
Bankensystem! Webseite
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19 Als Conduit wird eine Refinanzierungsstruktur bezeichnet, bei der mittels einer Zweckgesellschaft Wertpapiere wie z.B. ABS oder CDO von extern bewerteten Unternehmen einmalig oder revolvierend angekauft und über die Ausgabe von verzinslichen Wertpapieren in international gängigen Währungen refinanziert werden. Diese Wertpapiere können mit kurzer Laufzeit (besicherte Geldmarktpapiere, ABCP) oder mit mittlerer Laufzeit (Medium Term Notes, MTN) ausgestattet sein. Ein forderungsbesichertes Wertpapier (englisch asset-backed security, ABS) ist ein verzinsliches Wertpapier, welches Zahlungsansprüche gegen eine Zweckgesellschaft (englisch special purpose vehicle, kurz SPV) zum Gegenstand hat. Collateralized Debt Obligation (CDO) ist ein Oberbegriff für Finanzinstrumente, die zu der Gruppe der forderungsbesicherten Wertpapiere (englisch Asset Backed Securities) und strukturierten Kreditprodukten gehören. CDOs bestehen aus einem Portfolio aus festverzinslichen Wertpapieren. Diese werden in mehrere Tranchen aufgeteilt, die in absteigender Reihenfolge ihrer Bonität üblicherweise als Senior, Mezzanine und Equity bezeichnet werden. Das Ausfallrisiko steigt – aufgrund der nachrangigen Bedienung im Fall eines Ausfalls – mit sinkendem Rating, daher bietet die Equity-Tranche als Ausgleich die höchste Verzinsung. CDOs sind Finanzprodukte (beispielsweise Geldanlagen in Conduits) und ein wichtiges Refinanzierungsmittel für Banken auf dem Kapitalmarkt. Im Zuge der Finanzkrise ab 2007 sind sie in die Kritik geraten, da mittels ihres Einsatzes in hohem Maße risikobehaftete Kreditforderungen als vermeintlich sichere Investments auf dem Kapitalmarkt platziert wurden.
20 Das zweite Glass-Steagall-Gesetz wurde mehrfach modifiziert und im Jahr 1999 unter Präsident Bill Clinton mit dem Gramm-Leach-Bliley Act schließlich komplett aufgehoben.
22 Der Begriff: Kasino-Kapitalismus wurde von der britischen Politikwissenschaftlerin Susan Strange in ihrem 1986 erschienenen Buch Casino capitalism erstmals geprägt und dann von der Internationalen Politischen Ökonomie als Begriff übernommen.
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